Ambulant betreutes Wohnen – Gedanken dazu und zum Welt-Autismus-Tag

Es ist mal wieder Welt-Autismus-Tag.

Wie immer wird viel über Autismus und Autisten geredet und wenig mit ihnen.
Nach wie vor geht es in der Forschung hauptsächlich um Dinge, die für Autisten wenig Alltagsrelevanz haben (z. B. genetische Ursachen) oder sogar schädlich sind (z. B. Forschung zu ABA), statt darum, was die Probleme im Alltag sind und wie man ihnen dabei helfen kann. In meinem Artikel Eine nationale Autismusstrategie für Deutschland? habe ich dazu schon ein bisschen was geschrieben.

Passende Hilfen gibt es oft gar nicht, zumindest nicht über die Krankenkasse oder Eingliederungshilfe. Ich kenne einige Autisten, denen mit einer Haushaltshilfe geholfen wäre, aber so etwas ist nicht vorgesehen, wenn man es nicht gerade auf einen Pflegegrad bringt (und selbst dann kommt man oft nur auf wenige Stunden, weil meist ein Pflegedienst mit entsprechend hohen Stundensätzen beauftragt werden muss anstatt dass man sich anderweitig jemanden sucht). Ein paar grundsätzliche Gedanken dazu, was gute Hilfen für Autisten ausmacht, habe ich hier schon beschrieben.

Ich habe ambulant betreutes Wohnen. Darüber habe ich ja auch schon geschrieben.
Sachen übernehmen dürfen die Betreuer offiziell nicht, auch wenn die meisten durchaus mal abtrocknen oder beim Fensterputzen mit anpacken.
Ein großer Stresspunkt dabei ist, dass es immer wieder um Ziele geht – mit dem großen Ziel, dass die Hilfe sich irgendwann selbst überflüssig macht. Dummerweise ändern sich manche meiner Probleme aber nicht. An sich sind Ziele natürlich schon sinnvoll, aber bitte nicht immer mit dem Ziel, dass die Hilfe irgendwann komplett wegfällt. Das setzt mich tierisch unter Druck. Eltern, deren Kinder eine Schulbegleitung brauchen, können davon auch ein Lied singen.
Es wird als „Verselbstständigung“ angesehen, Autisten benötigte Hilfen zu kürzen oder ganz vorzuenthalten. Besonders schwierig daran ist, dass es nach außen hin sogar eine ganze Weile zu funktionieren scheint, weil Autisten sich oft eine ganze Weile zusammenreißen können und erst später „zusammenbrechen“. So „funktioniert“ das Kind dann zwar vielleicht in der Schule, kriegt aber zuhause nicht mal mehr die Hausaufgaben (geschweige denn irgendwelche Freizeitaktivitäten) hin. In der Zeit, in der ich ohne ambulant betreutes Wohnen alleine gewohnt habe, schien es auch so halbwegs zu funktionieren – nur dass halt noch weniger Kraft für Dinge wie Studium, Arzttermine oder auch mal Freizeitaktivitäten übrig war, weil mich (vor allem) der Haushalt total überfordert hat. Dass gegen Ende meines Erststudiums gar nichts mehr ging, dürfte unter anderem daran gelegen haben. Das war allerdings noch vor der Autismusdiagnose.
Das ständige (oft unbewusste oder durch Erwartungen der Gesellschaft oder „Therapien“ antrainierte) Maskieren kostet Kraft und kann zu psychischen Problemen bis hin zum Suizid(versuch) führen.

Weiterer Kritikpunkt: Ich kann nichts für meine Behinderung, laut Grundgesetz darf ich wegen meiner Behinderung nicht diskriminiert werden, aber ich darf nur wenig über der Armutsgrenze liegen, um solche Hilfen überhaupt finanziert zu bekommen. Momentan kein Problem, aber falls ich irgendwann mal arbeite, wird es relevant. Egal wie es am Ende genau aussieht (vorausgesetzt ich finde was), Arbeiten wird für mich anstrengend und belastend werden. Und dann würde ich gerne von meinem verdienten Geld mir auch mal einen Urlaub oder ähnliches leisten können – also die Dinge, die für einen Kollegen mit ähnlichem Einkommen, aber ohne Behinderung selbstverständlich sind.

Wieviel so eine Hilfe bringt, steht und fällt natürlich immer mit den beteiligten Personen. Die ersten Jahre hatte ich eine absolut tolle Betreuerin. Im letzten Sommer musste ich wechseln – einerseits wegen interner Umstrukturierungen (das Gebiet, wo der Träger tätig ist, wurde vergrößert und meine Betreuerin musste mehr Klienten am Rand des Gebiets übernehmen), andererseits weil man beim Träger der Ansicht ist, dass es eigentlich doch eh ganz gut wäre, so nach zwei Jahren mal den Betreuer zu wechseln, weil eine neue Person „neue Impulse“ geben könnte. Womit wir wieder beim Kritikpunkt von vorhin sind – ich brauche eine kontinuierliche Unterstützung im Alltag, nicht jemanden, der mir wie auch immer geartete „Impulse“ gibt, um sich irgendwann überflüssig zu machen. Davon, dass es insbesondere bei Autisten wohl kaum zielführend ist, unnötig zu wechseln, ganz zu schweigen (und für mich war dieser Wechsel definitiv unnötig – anders als wenn jetzt meine Betreuerin zum Beispiel schwanger geworden oder in Rente gegangen wäre; dann wäre es natürlich unvermeidbar gewesen).
Mit der ehemaligen Betreuerin war es wie gesagt super, damals habe ich diesen Artikel geschrieben – mit der jetzigen ist es bestenfalls ok. Wohnung und Organisationskram gehen mit ihr ganz gut, aber Gespräche (die durchaus auch Teil sind) teilweise nicht so. Mich nerven ein paar Dinge, aber sie anzusprechen wäre fast noch stressiger bzw. es brachte nichts (letzteres im Bezug darauf, dass es mich stresst, dass sie ständig zu früh kommt). Oder sowas . Sie versteht mich nicht richtig, glaubt aber (vermutlich wirklich), mich zu verstehen. Wo andere nach Jahren, die sie mich kennen, Blogtexte von mir oder Literatur spannend finden und sagen „das hat mir jetzt geholfen, dies und das zu verstehen“, kommt von ihr immer nur „ja, das war mir eigentlich alles vorher schon klar“ – aber ganz offenbar war es das halt nicht.
Die Kosten-Nutzen-Bilanz ist insgesamt noch positiv, doch sie könnte sehr viel besser sein. Manchmal denke ich über einen Wechsel nach, aber wer garantiert mir, dass es mit jemand anderem besser würde (meine ehemalige Betreuerin würde ich wohl kaum wieder bekommen)? Alle Betreuer, die ich beim Träger kennengelernt habe, sind grundsätzlich ok und zum Beispiel nicht bevormundend. Und vermutlich würde es nie so werden wie mit meiner ersten Betreuerin, wo es einfach total gut gepasst hat. Insofern scheue ich bislang einen Wechsel.

Fazit: Wir bräuchten individuelle, auf Kontinuität angelegte Hilfen, die einen nicht in die Armut zwingen. Dazu wäre eine wichtige Voraussetzung mehr Verständnis für die Alltagsprobleme von Autisten – vor allem dafür, wie viel Kraft vermeintlich banale Dinge kosten können und wie schädlich das ständige Maskieren ist. Die Hilfen sollten niederschwellig zugänglich sein, ohne dass man sich ewig mit Behörden streitet oder in die relative Armut gezwungen wird.
Das würde auch wesentlich mehr helfen als wenn einmal im Jahr alle über Autismus reden (und dabei in vielen Fällen noch totalen Murks verbreiten).

Über gedankenkarrussel

zwischen 25 und 35, Christ, naturwissenschaftlich interessiert, Aspergerautistin im Kampf mit der Müdigkeit... (darüber schreibe ich mehr in meinem Blog https://gedankenkarrussel.wordpress.com/ )
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