Wie sollten gute Hilfen für Autisten aussehen?

Das wichtigste ist meiner Meinung nach: Im Mittelpunkt stehen der Autist und seine Bedürfnisse. Selbstverständlich sollen auch die Bedürfnisse des Umfelds ernstgenommen werden – aber niemals um den Preis, dass dafür dem Autisten geschadet wird oder man entgegen dessen Bedürfnissen handelt.

Damit sind erstens direkt körperlich schädliche Methoden wie z.B. MMS oder medizinisch nicht indizierte Diäten oder Vitamingaben ganz klar nicht geeignet.
Auch sind ohne dass man weiter diskutieren müsste alle „Therapien“ und [Umsetzungen von] „Unterstützungs“formen raus, die a) als Hauptziel haben, dass der Autist nicht mehr autistisch wirkt, und/ oder b) problematische Methoden anwenden, die z. B. den Autisten unter Druck oder dauernde Überforderung setzen. Dies ist jedoch bei ABA und davon abgeleiteten Therapien in aller Regel der Fall. (Wobei ich da noch so einige weitere Probleme sehe.)
Zur Überprüfung von Therapieangeboten gibt es im Übrigen auch eine hilfreiche Merkliste von Autismus Mittelfranken.

Wie sollten nun also gute Hilfen konkret aussehen?
Die Ziele sollten mit dem Autisten abgestimmt sein und er sollte selbst entscheiden, worin die Hilfe bestehen soll bzw. ob er sie möchte. Ist es nicht möglich, den Autisten zu fragen, weil es sich beispielsweise um ein sehr kleines Kind handelt, halte ich es für die beste Alternative, wenn die Eltern sich bei erwachsenen Autisten informieren – ob jetzt im Internet, über Bücher, bei Veranstaltungen… aber diese können vergleichsweise immer noch am besten erklären, inwiefern beispielsweise die Wahrnehmung anders ist, was ihnen Probleme bereitet und wie man es ihnen erleichtern kann. Natürlich muss man dann noch schauen, was zum eigenen Kind passt, aber die Innensicht von Autisten ist dennoch viel näher am Empfinden des autistischen Kindes als die Ansichten von (nicht-autistischen) Therapeuten oder Ärzten.
Leider sind zum Teil (Eltern-)Verbände am lautesten und die ABA-Lobby ist recht erfolgreich darin, den Kontakt zu Autisten zu verhindern – wie man an einem Treffen der CDU/CSU-Fraktion gut sehen kann, bei dem der eigentlich eingeladene Autist vermutlich deshalb wieder ausgeladen wurde, weil er von anderen Gesprächsteilnehmern boykottiert wurde:

Aleksander ist übrigens auch Autor vom Buch Autismus mal anders: Einfach, authentisch, autistisch – es ist das beste Buch, das ich kenne, wenn jemand die Wahrnehmung von Autisten besser verstehen möchte. (Auch einige Menschen, denen ich es geschenkt habe, finden es toll und sagen, dass sie mich jetzt besser verstehen oder sich bestimmte Situationen und Reaktionen von mir erklären können.)

Denn (erst) wenn man sich mit dem Empfinden und der Wahrnehmung von Autisten näher befasst hat, kann man herausfinden, wie man dem Autisten wirklich helfen kann anstatt ihm nur anzutrainieren, bis zum großen Zusammenbruch zu „funktionieren“.
Solche Hilfen können dann beispielsweise in Strukturierung, Rückzugsmöglichkeiten oder Nachteilsausgleichen bestehen, aber auch in Hilfsmitteln wie einer Sonnenbrille oder einem Gehörschutz oder aber der unterstützten Kommunikation (UK) mit Bildkarten, Gebärden oder technischen Geräten.

Ebenfalls kann es hilfreich sein, soziale Situationen zu erklären und ggf. zu „übersetzen“ – das ist übrigens auch eine der klassischen Aufgaben eines Schulbegleiters. Natürlich kann man so etwas auch zuhause besprechen oder in geeignetem anderen Rahmen (Therapie, ambulante Betreuung etc.)
Je nachdem, was für Probleme konkret vorhanden sind, können natürlich auch viele andere Dinge etwas bringen – besonders die Ergotherapie, aber auch Logopädie und Physiotherapie, Reiten, ein Haustier etc.

Wichtig ist nur nach wie vor, dass – egal, bei welcher Form von Unterstützung oder Therapie – Bedürfnisse und Grenzen des Autisten respektiert werden.
Das Ziel sollte immer eine größtmögliche Selbstständigkeit und Teilhabe sein – wobei das nicht zwangsläufig heißen muss, dass keine Hilfen mehr nötig oder sinnvoll sind. Manchmal ermöglichen solche Hilfen mir genau das selbstständige, aktive Leben, weil vielleicht mit einer Sonnenbrille die Helligkeit draußen kein so großes Problem mehr ist oder weil meine Betreuerin mich bei manchen Tätigkeiten unterstützt.

Was auch hilft: Wenn die Personen im Umfeld sich auf den Autisten einlassen, statt zu erwarten, dass er sich „normgemäß“ verhält. Ich kann Blickkontakt halten, aber dann bin ich eben sehr schnell platt und kriege auch vom Gespräch nicht mehr viel mit. Und es tut ja nun auch keinem „weh“, darauf mal zu verzichten.
Selbstverständlich soll das nicht heißen, dass man alles akzeptieren muss. Wenn ein Kind z. B. andere Kinder schlägt, muss natürlich etwas unternommen werden. Sinnvoll für alle Beteiligten dürfte hier sein, dass man die Ursachen findet und nach Möglichkeit beseitigt bzw. alternative Lösungs-/ Kommunikationsstrategien einübt. Und eben ggf. für eine 1:1-Betreuung sorgt, bis diese Maßnahmen greifen.

Ich wünsche mir, dass ich grundsätzlich als Mensch so akzeptiert werde, wie ich bin. Ich bin dankbar, wenn zum Beispiel Ärzte Rücksicht nehmen und mir den nächsten Schritt immer ankündigen oder wenn sie bereit sind, auch mal durchzulesen, was ich ihnen aufgeschrieben habe.
Ich spüre durchaus, ob jemand mit der inneren Einstellung „die soll sich mal nicht so anstellen“ oder „ich versuche, es ihr möglichst leicht zu machen“ mit mir umgeht…

Ich habe versucht, hier mal ein bisschen überblicksmäßig zu schreiben, was mir einfällt. Viele gute Beiträge mit Berichten und Tipps von Eltern autistischer Kinder (teilweise selber autistisch) gibt es beispielsweise in den Blogs von:

  • ellasblog – die Schreiberin ist Mutter eines frühkindlichen Autisten, der praktisch nicht spricht und aus Sicht von ABA-Anbietern sicher ein klassischer „Fall“ für ABA wäre
  • butterblumenland (Mutter eines Kannerautisten)
  • innerwelt (Autistin und Mutter mehrerer autistischer Kinder)
  • Autismus – Keep calm and carry on (Anita ist Mutter von vier autistischen Kindern)

Selbst wurde ich ja erst als Erwachsene diagnostiziert, wobei mir sicher manches auch früher schon geholfen hat, was einfach zufällig gut lief oder meine Eltern instinktiv richtig machten. Ich schreibe jetzt mal konkret auf, was mir half/ hilft:

  • Meine Eltern haben zwar versucht, mir soziale Kontakte zu verschaffen, mich aber nie gedrängt oder gezwungen.
  • Ich hatte bis auf 2 Schuljahre das Glück, in einer Klasse mit höchstens 24 Schülern zu sein – noch dazu einer vergleichsweise „friedlichen“ Klasse. Und zu einer Zeit, wo es zwar Gruppenarbeiten etc. schon gab, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß wie heute.
  • Meine Eltern haben mich so einigen Hobbys nachgehen lassen und hatten nie ein Problem damit, wenn ich mich intensiv für eine Sache interessiert habe.
  • Sie waren und sind auch sehr darauf bedacht, dass Ferien wirklich Ferien sind und ich nicht für den Führerschein oder (im Studium) meinen Lebensunterhalt jobben muss. Ihnen ist das finanziell möglich und ich bin sehr dankbar dafür. Ich wäre sonst vermutlich noch deutlich früher zusammengebrochen bzw. käme aktuell noch deutlich weniger klar.
  • Außerdem ermöglichen sie mir, alleine (und nicht im Studentenwohnheim) zu wohnen, was ja durchaus teurer ist als eine WG – für mich ist es eine Entlastung, dass ich nicht zuhause noch sozialen „Stress“ habe.
  • Ich habe eine tolle Therapeutin, mit der ich Themen wie „Gefühle wahrnehmen und mit ihnen umgehen“ oder Akzeptanz [gerade mal wieder ein heißes Thema] bearbeite.
  • Die ambulante Betreuung ist eine riesige Unterstützung, zumal sie einfach auch so läuft, wie sie laufen sollte. (Ich habe da leider auch schon andere Beispiele gehört.)
  • Mir hilft der Austausch mit anderen Autisten.
  • An der Uni habe ich gelegentlich einen Nachteilsausgleich – es hätte mir auch definitiv sehr geholfen, wenn ich das im ersten Studium schon gehabt hätte. (Es hätte schon sehr viel gebracht, wenn ich nicht so viele Veranstaltungen und entsprechend Prüfungen auf einmal hätte machen müssen.)
  • Medikamente, vor allem gegen die Schlafstörungen und die Müdigkeit
  • Wenn Leute einfach zeigen, dass sie mich akzeptieren, wie ich bin.

Und für die Wahrnehmungen und Erfahrungen anderer Autisten kann man ja sonst auch mal den Links in meiner Blogroll folgen :-).

Über gedankenkarrussel

zwischen 25 und 35, Christ, naturwissenschaftlich interessiert, Aspergerautistin im Kampf mit der Müdigkeit... (darüber schreibe ich mehr in meinem Blog https://gedankenkarrussel.wordpress.com/ )
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3 Antworten zu Wie sollten gute Hilfen für Autisten aussehen?

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